MusikWoche

Recorded & Publishing

Zunächst einmal Glückwunsch zum Nummereins- Einstieg des Schiller-Albums ["Opus"](/audio/schiller-opus) vor zwei Wochen. Es ist die erste Spitzenposition für [Deutsche Grammophon](/company/deutsche-grammophon) in Deutschland. Hatten Sie das so geplant, als [Sie](/person/mark-wilkinson_0) im April ihren neuen Job antraten? Oder kam es überraschend?
Danke für das Kompliment. Dahinter steckte viel harte Arbeit von vielen Menschen, und es war in der Tat unser ambitioniertestes Ziel für dieses fantastische Album. Eine Nummer eins ist etwas sehr Besonderes. Jetzt müssen wir darauf mit anderen Künstlern und Projekten aufbauen.


Was sagen Sie dazu, dass "Opus" nicht mehr bei den Klassikcharts gewertet wird, weil man es nicht als "echte Klassik" gelten lässt und es daher nicht den Regeln entspricht?
Ich muss gestehen, dass ich darüber sehr enttäuscht bin. Aus meiner Sicht erfüllt dieses Album alle nötigen Kriterien; es aus den Klassikcharts zu kippen, halte ich nicht für richtig. Es sollte genauso gelistet werden wie diverse andere Alben, die dort seit vielen Monaten platziert sind.


Was gab den Ausschlag für die Gründung des Panorama- Labels? Was erwarten Sie sich davon?
Wir haben diesen Imprint innerhalb unseres Labelgebäudes als alternative Heimat für weitere Innovationen und Experimente eingerichtet, die sich vor allem an den Rändern dessen bewegen, was wir als "klassische Musik" kategorisieren. Das Schiller-Album ist ein perfektes Projekt, um damit zu starten - es ist im weiteren Sinn klassisch, weist aber dank seiner wagemutigen Fusion von verschiedenen Klangwelten, die sich gegenseitig ergänzen, über das Genre hinaus.


Welche anderen Künstler haben sie für Panorama unter Vertrag genommen?
Wir veröffentlichen ein spannendes neues Album mit dem französischen Tenor Vincent Niclo und dem Chor der Roten Armee im Oktober und ein schönes Weihnachtsalbum mit dem preisgekrönten Filmmusikkomponisten Nigel Hess im November. Nächstes Jahr kommt ein Projekt mit der Sopranistin Mojca Erdmann, und wir bringen minde - stens zwei weitere Acts an den Start, die wir zurzeit noch entwickeln. Wir werden auf diesem Gebiet neue Talente aktiv suchen und casten, und wie immer steht unsere Tür für jeden Manager, Künstler oder Act offen, der eine neue Labelheimat sucht. "


Crossover"-Klassik ist seit geraumer Zeit neben "Hardcore" und Katalogthemen eine wichtige Erlösquelle und Inspiration für Universal Classics. Wollen Sie diesen Bereich noch mehr stärken?
Wir müssen für einen ausgewogenen Veröffentlichungsplan Sorge tragen und ein Produktportfolio anbieten, das den Ansprüchen unserer Geschäftspartner weltweit wie auch unserem Geschäft hier in Deutschland entgegen kommt. Crossover - oder "Alternative Classics" - war in den vergangenen zehn Jahren ein wichtiger Bestandteil des Angebots in Schlüsselterritorien. Aber es ist vor allen Dingen unerlässlich, dass wir für weiteres Wachstum und für die Entwicklung dessen sorgen, was Sie "Hardcore" nennen. Wir tragen bei der Deutschen Grammophon eine künstlerische und kommerzielle Verantwortung dafür, dass wir das tun - dass wir unsere Zeit und unsere Ressourcen dafür verwenden, das hohe Qualitäts- und Anspruchslevel in diesem Bereich zu erhalten.


Kürzlich hörte man bei der Vertriebstagung "Universal Inside" etablierte Künstler wie Schiller oder Max Raabe, aber auch neue Themen wie den Akkordeonvirtuosen Martynas oder den Chor der Roten Armee. Wie wichtig ist Ihnen der Stilmix für das DG-Konzept?
Wir müssen immer wissen, wer unsere potenziellen Konsumenten und unser Publikum sind, wo sie ihre musikalischen Interessen haben und wohin der Trend geht. Grob gesagt gilt, dass das "massive passive" Publikum - also Käufer von relativ leichter Musik in einem bestimmten Alter - einen umfassenden und verschiedenartigen Geschmack hat. Daher ist ein stilistischer Mix mit einem entsprechend facettenreichen Angebot wichtig.


Wie viele andere Labels auch sind Sie für die Deutsche Grammophon eine Kooperation mit Starwatch eingegangen. Werden die Themen unter dem bereits eingeführten Label We Love Music veröffentlicht, oder gibt es ein neues Label We Love Klassik? Welche Kooperationsthemen stehen neben Max Raabe noch an?
Das Album mit dem Red Army Choir ist Teil unserer Starwatch-Kooperation unter dem Label We Love Music. "We Love Klassik" ist eine einmalige Compilation, die wir zusammen mit Starwatch machen. Über den vergleichsweise lebhaften Compilation-Markt reden wir bei DG relativ viel, denn die Entwicklung von Marken, die auch ein älteres Publikum ansprechen, ist etwas, das wir hier sehr genau unter die Lupe nehmen.


Kürzlich haben Sie mitgeteilt, dass Sie den legendären Katalog von Archiv Produktion wieder - beleben wollen. Warum und mit welchem Ziel?
Es handelt sich hierbei um ein sehr wichtiges und historisch bedeutsames Label mit einem außergewöhnlich reichhaltigen Katalog und großem Potenzial. Alte Musik war immer eine meiner speziellen Leidenschaften, und zum Glück stehe ich damit nicht allein. Und so wollen wir die Künstlergemeinde ebenso wie die Musikkäufer daran erinnern, dass dieses Label etwas Besonderes ist. Daher werden wir in den kommenden Monaten und Jahren ein neues Augenmerk auf Archiv Produktion richten - auf dessen unvergleichlichen Katalog und auf diese feinste Adresse für neue, her ausragende Aufnahmen.


Crossover läuft gut. Aber was ist mit der Core- Klassik, die zuletzt ein wenig kränkelte? Welche Strategie verfolgt die Deutsche Grammophon hier, um aus der Depression rauszukommen?
Den Begriff "Depression" halte ich für übertrieben, vor allem aus unserer Sicht hier bei DG. Es gab in diesem Jahr handfeste Anzeichen für ein Marktwachstum, das wir zwar teilweise, aber eben nicht vollständig den Cross over-Titeln verdanken. Und so bin ich sehr zuversichtlich, was die Aussichten für die neuen ebenso wie für die etablierten Künstler in unserer Labelfamilie - Deutsche Grammophon, Decca, ECM und Mercury Classics - hier in Deutschland betrifft. Im Blick auf unser eigenes Repertoire gilt: Wir müssen weiterhin künstlerische und produktionstechnische Spitzenqualität in allem, was wir tun, beibehalten. Und unsere Anstrengungen bei Marketing, Promotion und auf dem digitalen Sektor müssen mit unseren Ambitionen Schritt halten. Die digitale Arena bietet natürlich enorme Möglichkeiten für unser Bestreben, unsere traditionelle Käuferbasis in den Onlinebereich mitzunehmen und zugleich den jüngeren, digitalaffinen Musikliebhabern unsere Künstler und unseren Katalog schmackhaft zu machen.


Findet Sie es nicht bedauerlich, dass Sie EMI-Künstlern wie Philippe Jaroussky oder Simon Rattle wegen der kartellrechtlichen Regelungen bei der EMI-Übernahme in den kommenden zehn Jahren kein Angebot machen dürfen?
Im Fall von Sir Simon haben wir erst kürzlich einen Weg zur Zusammenarbeit gefunden, und zwar über die Kooperation von DG mit den Berliner Philharmonikern. Es gibt jede Menge Künstler, die bei anderen - kleinen wie großen - Labels unter Vertrag stehen und die wir bewundern, und wenn es sich anbietet, sind wir immer offen für Kooperationen und Partnerschaften.


Man findet es nicht oft, dass ein britischer Spitzenmusikmanager von London nach Berlin umzieht. Ist Ihnen dieser Schritt leicht gefallen?
Berlin ist eine der großartigsten, dynamischsten und kreativsten Metropolen weltweit, und hilfreich war auch, dass ich einige meiner jetzigen Kollegen schon von meiner Zeit bei Decca her kannte. Man hat mich in den vergangenen 18 Monaten überall mit offenen Armen empfangen, und ich empfinde diesen Umzug als eine Chance, wie man sie nur einmal im Leben bekommt.


Wie oft fliegen Sie dieser Tage zwischen Berlin und London hin und her?
Für gewöhnlich einmal im Monat, diese Woche allein aber schon zweimal. Aber das ist ganz entspannt, denn unsere Büros liegen im Westen von London, nicht weit vom Flughafen.


Wie ist es, in Berlin zu leben und zu arbeiten?
Aufregend. Und ich fühle mich hier wirklich zu Hause. Hier gibt es überall Kultur und Aufbruchsstimmung und Optimismus - und all das trägt dazu bei, dass es Spaß macht, in dieser tollen Stadt zu leben und zu arbeiten.


Sie stehen jetzt schon seit fast 20 Jahren bei Universal Music im Sold. Empfinden Sie sich als einen "Universalisten" mit Leib und Seele?
Ich hatte in den vergangenen zwei Dekaden das Glück und das Privileg, mit vielen inspirierenden Kollegen und Künstlern arbeiten zu können. Und dennoch ist jeder Tag anders und bringt neue Herausforderungen mit sich. Und wir könnten bei der Deutschen Grammophon nicht das tun, was wir tun, wenn uns die Unternehmensführung nicht darin unterstützen würde.


Was haben Sie eigentlich gemacht, bevor Sie in die Musikbranche eingestiegen sind?
Nach meinem Musikstudium in Großbritannien arbeitete ich zwei Jahre lang in der Werbung, bis ich merkte, dass mir die Musik viel zu sehr fehlte.


Bevor Sie den Job bei der Deutschen Grammophon in Berlin annahmen, haben Sie für Decca UK gearbeitet. Wie unterscheiden sich die Labelkulturen der beiden Abteilungen?
Beide Labels haben natürlich sehr viel mehr gemeinsam, als manche Beobachter erkennen mögen - auch wenn Standorte, Menschen und Firmengeschichten zu deutlichen Unterschieden in der Kultur beigetragen haben. Die gemeinsame Leidenschaft für die klassische Musik, fürs Arbeiten mit spannenden Künstlern, mit jungen wie mit alten; das Streben nach außergewöhnlicher Qualität und die Unterstützung der klassischen Musik im Wettbewerb und beim Wachstum - all das sind charakteristische Eigenschaften, die beide Labels in ihrer Arbeit prägen.


Sind Sie als President fürs weltweite Marketing der Deutschen Grammophon ver antwortlich?
Von unserer Zentrale hier in Berlin aus arbeiten wir direkt mit unseren angeschlossenen Marketing- und Promotionteams in allen Schlüsselterritorien und -regionen weltweit. Und in Berlin ist ein engagiertes Team für die Öffentlichkeitsarbeit und für strategische Entscheidungen verantwortlich.

Mit welchem Künstler würden Sie am liebsten mal eine Jam-Session spielen?
Das ist eine einfache Frage - mit dem Flötisten James Galway. Seine Sendungen im britischen TV führten in den Siebzigern dazu, dass ich so lange quengelte, bis mir meine Eltern eine Flöte schenkten. So landete ich dann bei der klassischen Musik.
Zur Person
Mark Wilkinson, geboren am 30. Oktober 1966 in Newport, South Wales (UK)...

Mark Wilkinson im Interview: "Jeder Tag ist anders und bringt neue Herausforderungen"