MusikWoche

Recorded & Publishing

In einem Gastbeitrag für MusikWoche schlägt [Birte Wiemann](/person/birte-wiemann) einen Bogen von der Brennnessel nach Brüssel. Die Vorstandsvorsitzende des [Verbands unabhängiger Musikunterneh­mer:innen](/company/vut-verband-unabhaengiger-musikunternehmerinnen) (VUT) analysiert dabei angesichts [der jüngsten Entscheidung](https://www.musikwoche.de/recorded-publishing/universal-music-und-downtown-eu-will-uebernahme-angeblich-genauer-pruefen-7d1620288d844a414afebfa1fea05826) der Europäischen Kommission mögliche Auswirkungen einer Übernahme von Downtown durch Universal Music:

Die Brennnessel dürfte eine der Nutzpflanzen sein, mit der die meisten Menschen schon im frühen Alter einschlägigste Erfahrungen gemacht haben. Trotzdem lässt sie sich als Teil des Ökosystems an Rainen und Böschungen, als Salat und Tee in der Küche verwenden und stellt mit ihren Samen ein bekanntes Superfood bereit. Allerdings hat sich die Brennnessel durch den verstärkten Einsatz von Dünger nicht nur in der Landwirtschaft und veränderte Weidepraktiken in den letzten Jahren so stark ausgebreitet, dass sie die heimische Pflanzenvielfalt bedroht und vielerorts Ökosysteme maßgeblich verändert - selbst im urbanen Raum.

Die Moral von der Geschicht': Wenn in einem bestehenden Ökosystem die Balance durch nicht eingehegtes, unnatürliches Wachstum kippt, reduziert das die Artenvielfalt mit gefährlichen Folgen. Ein Leichtes, hier in die viel diskutierte Kerbe zu schlagen, die Helen Smith von Impala und die ehemalige UK-Wettbewerbsbeauftragte Amelia Fletcher in ihren jeweiligen Briefen aufmachten: Übernimmt die UMG-Tochter Virgin das Konglomerat Downtown, verleibt sich ein Marktführer nicht nur einzelne Künstler:innen oder einzelne Labelkataloge ein, sondern dieses Mal komplette unabhängige Strukturen. Damit einher geht neue Verhandlungsmasse in Richtung der DSPs, die erwartbar nicht dem unabhängigen Repertoire zugutekommt bis zu Dateneinblicken, mit denen die unabhängigen Partner:innen wirtschaftlich erheblich geschwächt werden können. In der Folge wird unser bestehendes musikwirtschaftliches Ökosystem so verändert, dass Vielfalt auf der Strecke bleibt und wir mittelfristig auf noch mehr gleichgeschalteten Output schauen und die kulturelle Nische weiter ins Hintertreffen gerät. Darren Hemmings nennt das in seinem »Network Notes«-Blog »culture is flattening out«. Tagein, tagaus Brennnesselsalat will doch wirklich niemand essen und am Ende verlieren alle im Ökosystem.

Dabei macht es übrigens einen Unterschied, ob ein:e Labelbetreiber:in eine bewusste Entscheidung trifft, verschiedene Dienste eines Majors in Anspruch zu nehmen oder sich gar im Hinblick auf Nachfolge, Sicherung von Katalog und Auskommen der Künstler:innen sowie persönlichem Auskommen für die Zeit nach dem jahrzehntelangen Aufreiben für das Label dazu entschließt, das Label an den Marktführer zu veräußern. Oder ob ein Firmenkonglomerat durch eine großangelegte Übernahme plötzlich aus dem unabhängigen Kontext gerissen wird, der bei vielen auch mitentscheidender Grund war, diese Dienste in Anspruch zu nehmen. Die Wahl liegt im Falle der Services des Firmenkonglomerats nun - wie so oft - zwischen »take or leave it« - und der nächsten Herausforderung, Alternativen zu finden. Das kostet Ressourcen. Ressourcen, die bei Entdeckung und Aufbau neuer Künstler:innen - Stichwort »Vielfalt« - fehlen werden.

Und wer genau diesen Prozess aus den Händen gegeben und als Inhaber:in die bewusste und sicherlich begründete Entscheidung getroffen hat, sich aus genau diesem unabhängigen Kontext herauszuziehen, der:die hat aber trotz vielleicht großer Verdienste um die Unabhängigkeit die Berechtigung verloren, sich hier noch in die Diskussion einzumischen. All das, während wohl schon - glaubt man der Gerüchteküche - der Besitzerwechsel des nächsten unabhängigen Labels bevorsteht, in den ausnahmsweise wohl nicht Universal verwickelt ist.

Und was die neuesten Entwicklungen jenseits von Übernahmen und EU-Kommission angehen: Gerade in den letzten Wochen erreichen uns verstärkt Meldungen von Rechteinhaber:innen, Labels und Künstler:innen, die Opfer und/oder Kollateralschaden der von UMG sanktionierten »Fraud«-Bekämpfung von Spotify werden: Tracks werden mit der Begründung »Fake Streams« oder »Bots« aufgrund vermeintlicher Play-Peaks auf der Plattform geblockt. In der Folge werden auch zuvor erreichte Plays nicht mehr monetarisiert und die unter »Streaming 2.0« angekündigte Strafzahlung von zehn Euro fällig. Ein Schelm, der Böses denkt, wenn es da Tracks trifft, die soeben die 1000er-Grenze überschritten haben und Spotify nicht nur nicht vergütet, sondern auch noch eine Rechnung stellt. Haben wir schon vergessen, dass UMG und Spotify im Januar einen »Deal« abgeschlossen haben und dass UMG der einzige Major ist, der noch Shares an Spotify hält, die um die drei Milliarden wert sein sollen? Gibt es da noch Fragen darüber, ob das Ökosystem ausgewogen ist? Ob es noch unausgewogener werden soll? Noch ein Schlückchen Brennnesseltee?

**Mit dem Freischneider an die Brennnesseln**

Wer jemals versucht hat, der sich jedes Jahr weiter ausbreitenden Brennnesselböschung im heimischen Garten Herr zu werden, der:die weiß: Es braucht dicke Handschuhe, einen Freischneider und [ein gutes Gerät](https://werkzeug-garten.de/shop/krumpholz-gartenwerkzeug/grubber/1306-sauzahn/) zum Graben, um auch alle unterirdischen Wurzelteile der Brennnessel zu erwischen. Nachdem die EU-Kommission im Fall von UMG bereits den Gartenschuppen geöffnet hatte, sind wir nun zuversichtlich, dass in Phase II der Bewertung der Downtown-Übernahme die Wahl des Werkzeuges auf den Freischneider fällt. Für ein ausbalanciertes Ökosystem. Und für den langem Atem, denn dass wir unseren Garten mittelfristig grundlegend stickstoffärmer gestalten müssen, ist klar. Das geht nur ohne endlose Wurzelarme deutlich leichter.

> Zur Person - Seit 2005 arbeitet Birte Wiemann bei Cargo Records in Wuppertal und hat dort als Labelmanagerin Labels wie Trustkill, Revelation und Equal Vision betreut, dazu beigetragen, den Record Store Day seit 2010 auch in Deutschland zu etablieren und als Projektmanagerin ein B2B-Backend realisiert. Derzeit ist sie für den Bereich D2C/Fulfillment und die dazugehörigen Systeme und Schnittstellen zuständig. Neben der Arbeit bei Cargo Records promovierte Birte Wiemann 2013 in englischer Literatur an der University of Hull in Großbritannien. Sie ist seit 2016 Mitglied des VUT-Vorstands und seit 2021 Vorstandsvorsitzende. Seit 2022 ist sie zudem Mitglied im Aufsichtsrat der Initiative Musik.

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Nimmt vor dem Hintergrund der geplanten Übernahme von Downtown durch die Universal-Music-Tochter Virgin Music das Thema Vielfalt unter die Lupe: die VUT-Vorstandsvorsitzende Birte Wiemann.

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