MusikWoche

Recorded & Publishing

**In Folge eins stehen Spotify und "die Labels“ im Zentrum, in der Branche gibt es teilweise viel Kritik an der Darstellung. Was sagt der [BVMI](/company/bundesverband-musikindustrie-bvmi) dazu, dessen Mitglieder ja direkt angesprochen werden?**    

[Florian Drücke](/person/dr-florian-druecke): Über die Verteilung der Streaming-Einnahmen wird innerhalb unserer Branche und darüber hinaus bekanntlich engagiert diskutiert, insofern ist ein Beitrag erst einmal vollkommen in Ordnung, denn es ist ein extrem komplexes Thema. Gerade deshalb aber darf unseres Erachtens der Anspruch journalistischer Ausgewogenheit nicht außen vor bleiben, wenn man etwas zur Versachlichung beitragen möchte.  Doch hier offenbar ging es eher um Stimmungsmache, anders ist die einseitige, klischeebehaftete und boulevardeske Darstellung nicht zu erklären. Das Minimum  wäre doch der klare Hinweis gewesen, dass es sich um persönliche Einlassungen ausgesuchter Einzelpersonen handelt, während valide allgemeingültige Daten durch eine neutrale Erhebung für Deutschland aktuell noch nicht vorliegen, es hier also noch eine klare Daten- und damit auch Wissenslücke gibt. Das ist den Beteiligten lange bekannt. Auch, dass derzeit deshalb eine sehr umfangreiche und teure von der BKM finanzierte wissenschaftliche Studie durchgeführt wird, bleibt – Überraschung – unerwähnt. Ebenfalls hätte zu einer ausgewogenen Berichterstattung der Hinweis gehört, dass in der Branche an ganz vielen Stellen längst selbst neue Abrechnungsmodelle getestet werden, um Erkenntnisse zu gewinnen, wie Künstler:innen besser am Erfolg beteiligt werden. Dass Künstler:innen heute mehr Möglichkeiten denn je haben, ihre Musik selbst zu produzieren und zu vermarkten, mit und ohne die Unterstützung eines Labels, und damit auch, zu entscheiden, ob und zu welchen Bedingungen sie mit einem Label zusammenarbeiten, kann ebenfalls in einem solchen Beitrag nicht oft genug gesagt werden. Damit ein klareres Bild entsteht.  Als BVMI waren wir seit einem Jahr periodisch in Hintergrundgesprächen zu der Produktion angefragt, der ursprüngliche Aufhänger war Streaming-Manipulation, ein Umfeld, in dem wir als Verband aktiv und ebenfalls bekanntermaßen erfolgreich gegen unlautere Methoden vorgehen, auch davon kein Wort im Beitrag. An einer Stelle wird behauptet, „die Labels“ hätten auf eine Frage „nicht geantwortet“. Wir haben als Verband ausführlich stellvertretend für unsere Mitglieder geantwortet und dies gegenüber dem BR auch transparent gemacht. Leider ist insgesamt wenig aus diesen Antworten in den Beitrag gelangt. So, wenig überraschend, auch nicht die Hinweis, dass die Labels in Künstler:innen investieren, diese Investitionen aber eben in neun von zehn Fällen nicht wieder eingespielt werden.  Ein solcher Bias in der Berichterstattung ist schon heftig, immerhin reden wir über einen Beitrag der Öffentlich-Rechtlichen.  

> "In fast allen relevanten Territorien profitieren nachweislich besonders auch lokale Künstler:innen von der Vermarktung ihrer Musik auf Streaming-Plattformen."
Florian Drücke, BVMI

**Um noch einmal auf die Frage nach der Vergütung von Künstlerinnen und Künstlern zu kommen: Was sagen Sie denn aktuell zu den von den Künstler:innen erhobenen Vorwürfen hinsichtlich der Vergütung, mal kurz außer Acht lassend, dass es hier offenbar vor allem viel um persönliche Erfahrungen ausgesuchter Einzelpersonen geht?**  

Florian Drücke: Wie gesagt, für Deutschland liegen allgemeingültige Daten noch nicht vor, was man aber sagen kann, ist, dass in fast allen relevanten Territorien nachweislich besonders auch lokale Künstler:innen von der Vermarktung ihrer Musik auf Streaming-Plattformen profitieren und allein in Deutschland „Domestic Artists“ regelmäßig zwischen 40 und 60 Prozent in den Offiziellen Deutschen Top 100 Single-Charts stellen. Wenn man schon nicht auf die Ergebnisse der von der BKM in Auftrag gegebenen Studie warten möchte, kann man angesichts solcher Angaben, die der BR vom BVMI erhalten hat, doch mindestens vermuten, dass sich die Situation von Künstler:innen in Deutschland durch das Streaming gegenüber dem Vorstreamingzeitalter nicht notwendigerweise verschlechtert hat. Auch ist bekannt, dass das Thema Preiserhöhung eine große Rolle spielt. Daneben zeigt sich in UK, wo die Wettbewerbsbehörde CMA 2022 bereits Zahlen ermittelt hat, dass die durchschnittlichen Tantiemen in den Verträgen für neue Künstler:innen sukzessive gestiegen sind, von durchschnittlich 19,7 Prozent im Jahr 2012 auf 23,3 Prozent 2021. Für Songwriter:innen hat sich der Anteil der Einnahmen, der auf Verlagsrechte entfällt, von acht Prozent 2008 auf 15 Prozent 2021 nahezu verdoppelt. Eine weitere Erkenntnis der britischen Wettbewerbsbehörde ist, dass die Branche nach der jahrelangen Talfahrt zwar wieder Gewinne erwirtschafte, es dabei aber keine Hinweise auf substanzielle und anhaltende Übergewinne der großen Firmen gebe. Anders, als es etwa der BR-Beitrag insinuiert. 

> "Das ist in der Tat nicht nur vollkommen falsch, sondern auch ärgerlich."
Florian Drücke, BVMI

**Es geht in der Serie auch um konkrete Forderungen nach anderen Splits in den Labelverträgen gesprochen, weil die Firmen heute ja nicht mehr im ursprünglichen Umfang physische Tonträger produzieren, transportieren und lagern müssten, Tim Renner geht in dem Beitrag sogar so weit zu sagen, die Schallplattenfirma müsse ja „eigentlich nichts mehr machen, als einmal das Master rübergeben“ …**

Florian Drücke: Das ist in der Tat nicht nur vollkommen falsch, sondern auch ärgerlich, weil es in der Öffentlichkeit leider Menschen geben wird, die so eine Aussage ernst nehmen. Fakt ist, dass sich Labels für ihre Künstler:innen heute eher mehr ins Zeug legen müssen, sich die Aufgaben zum Teil nur vorschoben haben. Streaming hat die Markteintrittsschwellen für Künstler:innen wie für neue Labels gesenkt, was zu mehr Chancen für viel mehr Künstler:innen, dadurch aber auch zu deutlich mehr Wettbewerb für alle führt. Zurzeit werden täglich bis zu 120.000 neue Songs allein bei Spotify hochgeladen. Einer Künstlerin, einem Künstler in diesem Umfeld Aufmerksamkeit und Hörer:innen zu verschaffen, erfordert umfassende Digital- und Dataexpertise sowie -management in einem nie gekannten Umfang. Außerdem, siehe oben: Es steht nach wie vor jedem Künstler, jeder Künstlerin absolut frei, sich für oder gegen einen Vertragsabschluss mit einem Label zu entscheiden – heute eben mehr denn je. 

> "In jedem Fall darf eine so klare Parteinahme dort keinen Platz haben."
Florian Drücke, BVMI

**Wenn Sie sich etwas wünschen könnten, wie würde die künftige journalistische Befassung mit dem Thema aussehen?**   

Florian Drücke: In jedem Fall darf eine so klare Parteinahme dort keinen Platz haben. Und, darüber haben wir noch gar nicht gesprochen, es sollte von den Verantwortlichen Sorge dafür getragen werden, dass nicht ein Peter Sunde, Mitgründer von The Pirate Bay, als eine Art Robin Hood der Musikindustrie verklärt wird, der mit seinem illegalen P2P-Netzwerk der weltweiten Musik- wie der Filmbranche massiven Schaden zugefügt hat. Er ist dafür 2012 von einem schwedischen Gericht rechtskräftig als Straftäter verurteilt worden und saß 2014 mehrere Monate im Gefängnis. Was sollen die Schlussfolgerungen des BR-Teams sein? Dass es Künstler:innen heute besser ginge, wenn Spotify nie erfunden worden wäre und The Pirate Bay statt dessen immer noch dafür sorgen würde, dass Musik überall illegal kostenfrei zugänglich ist?  Das ist ein Schlag ins Gesicht der gesamten Branche, der Künstler:innen wie der Labels. Leute, wir sind im Jahr 2023 und stehen mitten in der nächsten großen Innovationsphase. Wahrscheinlich erklärt uns bald jemand, dass Kim Dotcom den Erfolg des Vinyl zu verantworten hat …  Ich möchte hier noch einmal in aller Klarheit sagen: Ich halte die journalistische Befassung mit diesem Thema für wichtig. Aber einordnende journalistische Beiträge, die aus unserer Sicht gerade in einer Zeit des zunehmenden allgemeinen Vertrauensverlustes hochnotwendig sind, sehen anders aus. Unverhohlene Parteinahme und dramatisch-boulevardeske Inszenierungen tragen nichts zur Klärung einer komplexen Situation bei, die für Künstler:innen wie Unternehmen von höchster Bedeutung ist. Das ist auch insofern wirklich fahrlässig als diese stark gefärbten Schilderungen natürlich direkt und ungeprüft durch die (Sozialen)...

BVMI kritisiert "Dirty Little Secrets"