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Musik

Diskussion um neues Hochrechnungsverfahren der GEMA Beitrag I

Im Thema der Woche in Heft 20/99 ging MUSIKWoche auf die Diskussion um das neue GEMA-Hochrechnungsverfahren PRO zur Ermittlung der Aufführungsziffern der Werke in Live-U-Musikveranstaltungen ein. Mittlerweile erreichten zahlreiche weitere Stellungnahmen die Redaktion.

Kristian Bauer24.05.1999 22:00

So schreibt beispielsweise Rechtsanwalt Ulrich Schulze-Roßbach aus Berlin:Wenn die GEMA reklamiert, sie verfolge eine größere Gerechtigkeit bei der Verteilung von treuhänderisch zugunsten ihrer Mitglieder vereinnahmten Beträgen, so ist dieses Anliegen zwar nachvollziehbar, doch durch das neue Verfahren nicht zu erreichen. Auch wenn die schlichte Hochrechnung auf der Basis eingereichter Programme, die nur ein Siebtel aller Aufführungen umfassen, in der Vergangenheit zu verzerrten Ausschüttungen an die Mitglieder geführt hätte, erreicht das neue PRO-Verfahren nicht mehr Gerechtigkeit. So hat die GEMA bei Vorstellung des PRO-Verfahrens selbst in Aussicht gestellt, daß maximal eine Reduzierung der ausgeschütteten Tantieme auf 28 Prozent des vordem zu erwartenden Aufkommens erfolge. Bittere Realität ist aber, daß nicht nur die in Ihrer Veröffentlichung exemplarisch genannten 15 Prozent früher gezahlter Beträge das Ergebnis der Umstellung sind, sondern sogar vielfach Beträge, die nur noch knapp neun Prozent früherer Zahlungen ausmachen. Dies indiziert, daß die statistischen Berechnungen, die die GEMA zur Grundlage des PRO-Verfahrens gemacht hat, von falschen Prämissen ausgegangen sind. Wenn Christian Bruhn von der GEMA erklärt, daß sich das PRO-Verfahren nicht gegen eine bestimmte Gruppe von Urhebern wende, mag das sein. Allerdings wirkt sich dieses Verfahren durchaus auf eine Gruppe aus - nämlich dann, wenn bei Tausenden von Mitgliedern deren frühere Tantiemen um mehr als 90 Prozent gekürzt werden und dies zur Verteilung siebenstelliger Beträge an eine kleine Gruppe von Urhebern sogenannter Standards und Evergreens führt. Dem Nachteil einer Gruppe entspricht stets der Vorteil einer anderen, wobei diese - zahlenmäßig geringer -dramatisch profitiert. Daß so die unschöne Vermutung provoziert wird, daß das PRO-Verfahren sich gewollt zugunsten einer bestimmten Gruppe auswirkt, sollte nicht verwundern. Auch ist der dem PRO-Verfahren zugrundeliegende Berechnungsschlüssel wegen des darin maßgeblichen Faktors "Zahl der Bezirksdirektionen (der GEMA)", in denen Aufführungen erfolgen, überaus dubios, da etwa ein in Köln ansässiger Urheber oder Interpret ohne großen Aufwand Aufführungen im Bereich von vier Bezirksdirektionen erreichen kann, einer aus den neuen Ländern aber nur in zwei, sofern er gleiche Anreisestrecken zurücklegt wie der Kollege aus Köln. Berücksichtigt man, daß durch die historische Situation ein Ostdeutscher als Urheber oder Interpret zwar auf erhebliche Nachfrage in den neuen Bundesländern stößt, indes nur auf geringe Nachfrage im Westen, besteht deswegen gar keine Veranlassung, etwa nach schlecht dotierten Auftritten im Westen zu streben. Die nur dadurch bedingte Standorttreue wird durch Halbierung des Faktors bestraft. Daß die Urheber dann, wenn sie zugleich Interpreten ihrer Werke sind, generell dazu neigen, ihnen vom Veranstalter vorgelegte Aufführungslisten, die Musikfolgen, minutiös auszufüllen, liegt nahe - ebenso allerdings auch, daß, aus welchen Gründen auch immer, derart ausgefüllte Programme vom Veranstalter nicht an die GEMA weitergeleitet werden. Immerhin muß ein Veranstalter - solange er die fälligen Beträge an die GEMA zahlt - nicht mit Sanktionen rechnen, wenn er die Musikfolgen nicht vorlegt. Wenn aber - und das ist mir aufgrund meiner über 20jährigen einschlägigen Tätigkeit bekannt - auch penibel von Urhebern ausgefüllte Musikfolgen der GEMA gar nicht vorgelegt werden, gerät eine entscheidende Prämisse für die veränderte Abrechnung durch den Verband ins Wanken. Soweit die GEMA unterstellt, die Interpreten würden lückenlos die Programme mit eigenen Werken vorlegen, ignoriert dies, daß die Programme immer von den Veranstaltern unterzeichnet werden müssen. Diese versichern aber oftmals dem Musiker, dies später erledigen zu wollen, ohne daß der das überprüfen könnte. Schließlich ist auch die Behauptung der GEMA, sie habe ihre Mitglieder rechtzeitig und umfassend über die jetzt ins Kreuzfeuer geratene "Verbesserung" informiert, nicht nur falsch, sondern auch dreist, wenn von "jahrelangen Ankündigungen" geredet wird. Die Mitglieder haben nämlich erstmals in der sechs Wochen vor der Mitgliederversammlung im vergangenen Jahr versandten Einladung von diesem Verfahren erfahren. Selbst wenn, was bestritten wird, die Mitgliederver- sammlung hierüber nicht hätte abstimmen müssen, hätte die GEMA sie wesentlich früher informieren müssen. Das wäre auch ohne weiteres möglich gewesen, da wegen der Beauftragung von zwei Statistikern, einen neuen Schlüssel für Hochrechnungen zu finden, dieser Auftrag erhebliche Zeit zurückdatiert. Auch ohne die Notwendigkeit zur Abstimmung wäre es sinnvoll gewesen, das PRO-Verfahren zu diskutieren, da dessen Mängel vor der Anwendung hätten erkannt werden können. Ob die jetzt angestrebten Nachbesserungen bei vorheriger Berücksichtigung aller Bedenken überhaupt erforderlich gewesen wären, darf indes bezweifelt werden. Allerdings steht diese späte Information in der Tradition der GEMA, ihren Mitgliedern das Verständnis der gesamten Verrechnung zu erschweren und Auskünfte auf ein Mindestmaß zu begrenzen. So sind mir zahlreiche Fälle bekannt, in denen - trotz der durch das Treuhandverhältnis begründeten Auskunftspflicht der GEMA - der Verband auf Anfragen seiner Mitglieder unvollständig, verspätet oder gar nicht reagiert hat. Daß die Mitglieder der GEMA auch deswegen gezwungen sind, sich mit ihrer eigenen Organisation gerichtlich auseinanderzusetzen, spricht für sich.

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