MusikWoche

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Kurz vor dem [Reeperbahn Festival](/company/reeperbahn-festival) werfen [Alexander Schulz](/person/alexander-schulz_c) und [Detlef Schwarte](/person/detlef-schwarte_7) einen Blick voraus auf den Branchentreff, der wegen geopolitischer Verwerfungen und deren Auswirkungen auf die Musikwirtschaft unter veränderten Vorzeichen.


Leidet auch das Reeperbahn Festival unter der Zurückhaltung der Ticketkäufer:innen, wie sie in der übrigen Livebranche zu beobachten ist? Und gibt es da Unterschiede zwischen Branchenpublikum und Fans beim öffentlichen Teil des Reeperbahn Festivals?


Alexander Schulz: Wir erwarten in beiden Besucher*innengruppen etwa 70-75 Prozent des letzten vor-pandemischen Niveaus 2019. Das entspricht etwa 40.000 Besucher*innen nach Tagen, darunter etwa 3.500 Fachbesucher*innen. Seit dem Frühjahr sind die wöchentlichen Entwicklungen in den Ticketverkäufen für beide Kategorien ziemlich identisch zu 2019. Wir haben aber so gut wie keine Tickets in Q4/21 und Q1/22 verkauft, als noch völlig unklar war, wie sich die Pandemie und der Umgang mit ihr für diesen Herbst entwickeln würde. Diesen Rückstand holen wir nicht mehr auf, da nun andere Kaufimpulse gelten als noch in den zurückliegenden Early-Bird-Fenstern. Unser Programm-Angebot ist quantitativ an diese Besucher*innen-Erwartung angepasst. Insgesamt blicken wir vor dem Hintergrund der äußeren Bedingungen und Herausforderungen der vergangenen zweieinhalb Jahre sehr zuversichtlich auf diese Prognose und freuen uns auf die erste und vermutlich einzige große und internationale livehaftige Zusammenkunft von Musikwirtschaft in Europa in diesem Jahr. Wir glauben auch, dass der Umstand, dass das Reeperbahn Festival in 2020 und 2021 in zwei sehr beschwerlichen Pandemie-Ausgaben stattgefunden hat, hilfreich war für die Besucher*innen-Erwartung für die diesjährige erste Edition ohne Einschränkungen nach drei Jahren.


Spielen Fördergelder bei der Finanzierung inzwischen eine größere Rolle als zuvor? Und begibt man sich dadurch nicht in eine gefährliche Abhängigkeit von der Politik?


Alexander Schulz: Ohne öffentliche Mittel hätten wir in 2020 und 2021 überhaupt nicht veranstalten können. Sehr viele andere mussten in diesen Jahren notgedrungen pausieren. Im Jahr 2022, in dem wir zwar noch die mittelbaren Effekte der Pandemie und auch die des Krieges spüren, aber endlich wieder ohne direkte verordnete Einschränkungen veranstalten können, wird sich der Anteil der Fördermittel wieder reduzieren. Zweifelsohne begibt man sich immer in bestimmte Abhängigkeiten seiner Stakeholder -das gilt für privatwirtschaftliche ebenso wie für öffentliche. Denn auch die Partner*innen verfolgen ja mit der Kooperation bestimmte Ziele. Die Art und Weise der Zusammenarbeit mit Stakeholdern der Öffentlichen Hand unterscheidet sich fundamental von der mit privatwirtschaftlichen. Allerdings liegen diese wesentlichen Unterscheidungsmerkmale aus meiner Sicht eher im administrativen, denn im politischen Umfeld. Eine gefährliche Abhängigkeit oder gar Einflussnahme von Politik in Bezug auf unsere inhaltliche Ausrichtung kann ich nicht erkennen. Anders als vergleichbare Veranstaltungen, wie zum Beispiel die Berlinale, sind die Eigentümer*innen des Reeperbahn Festivals ja ausschließlich privatwirtschaftlich.


Mit RBX hat das Reeperbahn Festival jüngst eine neue Dachstruktur erhalten. Wie ist die Umsetzung angelaufen? Und was wird künftig aus der Reeperbahn Festival GmbH und Inferno?


Alexander Schulz: Zu Beginn des Jahres wurden die Betriebsteile und Mitarbeiten*innen der Reeperbahn Festival GmbH und der Inferno Events GmbH & Co. KG, die bisher am Reeperbahn Festival gearbeitet haben, in die neue RBX GmbH als Veranstalterin des Reeperbahn Festivals in Hamburg und der unterjährigen digitalen Formate zusammengeführt. Das ist ein komplexer Transformationsprozess, der weiter andauert, denn es wurden ja teilweise parallel existierende Strukturen zusammen gefasst in eine neue Organisation. Die Reeperbahn Festival GmbH und Inferno Events GmbH & Co. KG sind zu gleichen Teilen Eigentümerinnen der neuen RBX GmbH.


Gibt es schon praktische Vorteile durch die RBX-Struktur bei der Organisation des diesjährigen Reeperbahn Festivals?


Alexander Schulz: Die ersten Effekte sind erwartungsgemäß in den administrativen Arbeitsbereichen, wie HR, OfficeMgmt., Finance, Vergaben oder Buchhaltung aufgetreten, wo nun für alle Mitarbeite*innen der Unternehmung vereinheitlichte Regeln und Prozesse greifen. Die positiven Effekte für das operative Geschäft werden folgen, sobald sich die einheitlichen prozessualen Abläufe intern verstetigt haben. Zuerst erwarten wir diese in den Arbeitsbereichen Produktion, Marketing sowie Verkauf und Vertrieb.


Was sind die Schwerpunkte beim Konferenzprogramm? Welchen Stellenwert haben Business-Themen zu Recorded Music, Publishing und Live Entertainment?


Detlef Schwarte: Wenn man im Konferenzprogramm nach Themenschwerpunkten filtert, bekommt man je um die 35 Treffer für Live, Recorded, Marketing und Politics. Kurz dahinter finden sich Rights Management, Synch und Technology. Aber auch eher nischige Themenfelder wie Modern Classic, Musikcin Games oder Film haben wir wie gewohnt dabei. Daran sieht man schon, dass weiterhin die klassischen Business-Themen im Zentrum der Konferenz stehen. Allerdings bekommen politische und gesellschaftliche Aspekte eine stärkere Bedeutung auch für das klassische Geschäft mit der Musik. Überbrückungshilfen, Auswirkungen von Klimawandel oder der Krieg in der Ukraine haben konkrete Auswirkungen auf die Musikwirtschaft, weshalb sich das Brot-und-Butter-Geschäft immer häufiger mit übergeordneten Fragen verschränkt. Das bildet sich in unserem Programm entsprechend ab. Sessions wie "Parliament of Pop", "European Live Biz Stepping Up For Ukraine", "Antifascist Algorithm" oder "The Green Transformation" stehen exemplarisch dafür.


Auch beim Reeperbahn Festival gibt es wie bei anderen Konferenzen viele Panels zu sozialen Themen - von Keychange über Diversität bis Mental Health. Besteht nicht die Gefahr, dass solche Runden vorhersehbar ablaufen, weil sich im Grunde alle einig sind und Antagonisten fehlen?


Detlef Schwarte: Ja, wir richten in diesem Jahr sogar erstmals einen Ort namens "Sustainability Hub" ein, wo es über zwei Tage ausschließlich darum gehen wird, wie die Musikwirtschaft ökologisch und sozial nachhaltiger werden kann. Den "Gender Equality Hub" gibt es schon im zweiten Jahr. Ich gehe davon aus, dass es einen Konsens darüber in der Branche gibt, dass wir uns mit diesen Fragen beschäftigen müssen und es weiterhin viel Potential zur Verbesserung gibt. Es geht hier für mich also nicht darum, dass Haltungen aufeinanderkrachen, sondern darum, Themen wortwörtlich Raum und Sichtbarkeit zu geben, damit sie ihren Platz im Diskurs der Branche finden und behalten. Ich hoffe, dass wir so dazu beitragen können, dass sich die Aktivist*innen, die sich besonders um diese Themen kümmern, bekräftigt fühlen und alle mit- und voneinander lernen können.


Zahlt sich die internationale Expansion der vergangenen Jahre auch für das Mutter-Event in Hamburg aus - etwa durch mehr Delegierte aus dem Ausland?


Alexander Schulz: Ja, genau das ist weiterhin der Plan. Zumindest waren diese Abstrahl-Effekte bis 2019 in Bezug auf unsere Ausgabe in New York spürbar und auch die viel späteren Premieren-Ausgaben in Afrika und Nashville hatten trotz der Pandemie erste Effekte in dieser Hinsicht erzeugt. Beim Reeperbahn Festival 2022 sind die USA Focus-Country und nun zahlt sich die Markenbekanntheit in der dortigen Musikwirtschaft, die sicher auch aus den SpinOffs der Vorjahre resultiert, aus: Mit gleich drei US-Verbänden und jeweils deren ausgewählten Vertreter*innen von Mitgliedsunternehmen bieten wir One-On-One Matchmakings für Unternehmens-Vertreter*innen aus Europa an, geklustert nach Teilmärkten: American Association of Independent Music (A2IM), Association of Independent Music Publishers (AIMP) und Music Managers Forum US (MMF). Darüber hinaus gibt es das Angebot für Matchmakings mit einer Gruppe von 15 US-Organisationen aus unterschiedlichen Teilmärkten, die die German American Chamber Of Commerce zusammengestellt hat. Und schließlich bieten wir -und das geht eher auf unser SpinOff in Nashville zurück- mit der Music Business Association (MusicBiz)...

Reeperbahn rechnet "lediglich der Form nach mit einer 'normalen' Ausgabe"